Für alle Kriegstreiber mal etwas zum Nachdenken ...


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  • | 18.03.2003 14:35

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Wenn es Raketen regnet

Im Irak wird unsere Kultur zerstört / Von Jürgen Todenhöfer

Ich denke in diesen Tagen oft an Bagdad. An die klapprigen Lastwagen, in denen erbärmlich ausgerüstete irakische Soldaten in schlecht sitzenden, von ihren Müttern in den letzten Wochen genähten Uniformen in ihre baufälligen Unterkünfte gebracht werden. An die hoffnungslosen Augen der jungen Wehrpflichtigen, die mit ihren Schrottwaffen nicht kämpfen können, nicht kämpfen wollen und nicht kämpfen werden, weil sie ohnehin keine Chance haben und weil sie für Saddam nicht sterben wollen. Und an die verrosteten Uraltpanzer, um die sich jedes Militärmuseum der westlichen Welt reißen würde, die auf alten quietschenden Güterzügen Richtung Bagdad transportiert werden.

Die reguläre irakische Holpertruppe wird den amerikanischen Hightech- Kriegern nicht eine Woche standhalten können. Vielleicht werden die besser ausgerüsteten Spezialtruppen der republikanischen Garden in den Straßen Bagdads länger kämpfen. Aber das sind maximal 25 000 Mann – gegen 250 000 Mann amerikanischer Elitetruppen. Auch sie haben am Ende allenfalls die Chance, die USA in einen Häuserkampf zu verwickeln und Bagdad in ein Meer von Blut zu verwandeln. Siegen werden auch sie nicht.

Die größte Ungerechtigkeit

Bill Clintons Verteidigungsminister William S. Cohen hat noch im Januar 2001 in seiner Abschiedspressekonferenz stolz verkündet, „der Irak stelle selbst für seine Nachbarn keine Gefahr mehr dar“. Und sein Nachfolger Donald Rumsfeld, der Planierarbeiter an der Meinungsfront, hat noch dieser Tage lapidar erklärt, dass der Irak nur noch ein Drittel seiner früheren militärischen Stärke besitze und daher leicht zu besiegen sei. Der Irak hat keine einzige Rakete, kein einziges Flugzeug, das die USA erreichen kann. Nach Auffassung aller großen Geheimdienste gibt es bis heute auch keine Kooperation zwischen Bin Laden und dem Fundamentalistenhasser Saddam Hussein. Die einzigen, die Saddam in die Arme von al Qaida treiben können, sind laut CIA-Direktor Tenet wir selbst.

Trotzdem behauptet der amerikanische Präsident, der Irak bedrohe die Sicherheit der USA und müsse durch einen Präventivkrieg entwaffnet werden. Wie soll dieser eingedämmte, ausgelaugte Zwerg den vor Kraft strotzenden Riesen USA gefährden? Die New York Times nennt diese Argumentation der Bush- Administration „schlicht peinlich“. Sie denkt dabei vielleicht an Condoleezza Rice, die zu den Offensivkapazitäten des Irak noch vor zwei Jahren in „Foreign Affairs“ geschrieben hatte: „Falls die Iraker tatsächlich Massenvernichtungswaffen haben, werden sie diese nicht einsetzen können, weil jeder Versuch die Auslöschung ihres eigenen Landes nach sich ziehen würde.“ Saddam Hussein ist ein Lügner, Betrüger, Tyrann und Mörder, aber kein Selbstmörder.

Ich denke in diesen Tagen oft an Bagdad. An meinen Freund Sami, den Eisenschmied in der winzigen Schmiedegasse, nahe Al-Jumhuriya, der eigentlich Lehrer ist, sich aber jetzt 12 Stunden am Tag die Finger blutig schlägt, um seine unter den Sanktionen notleidende Familie durchzubringen. An die ausgemergelten Kleinkinder in den Krankenhäusern im „Reich des Bösen“, die die niedrigste Überlebenschance aller Kinder dieser Welt haben, weil unsere Sanktionen zu Fehlernährung, verseuchtem Wasser und völlig unzureichender medizinischer Versorgung geführt haben. Und ich frage mich, warum diese „größte organisierte Ungerechtigkeit unserer Zeit“ (Hans Graf von Sponeck) uns alle so ruhig schlafen lässt. Warum wir nur über die unbestreitbaren Verbrechen dieses grauenhaften, drittklassigen Diktators Saddam Hussein sprechen, nicht aber über unsere eigenen Verbrechen gegenüber dem irakischen Volk, die nach Unicef-Angaben Hunderttausende irakische Kleinkinder das Leben gekostet haben.

Ich denke in diesen Tagen oft an Bagdad. An die unglaubliche Herzlichkeit, die die Iraker aller Bevölkerungsschichten trotz ihrer Not meinen Kindern und mir entgegengebracht haben, obwohl sie uns für Amerikaner hielten. An die Kinder, die sich an uns klammerten, so als suchten sie Schutz vor ihrer düsteren Zukunft. Die immer, wenn irakische Flugzeuge am Himmel auftauchten, angstvoll nach oben schauten und fragten, ob es bald wieder Marschflugkörper regne. Ich denke an das kleine irakische Mädchen, das norwegischen Psychologen auf die Frage, ob es Angst vor den Bomben habe, antwortete, es werde seine Bettdecke über den Kopf ziehen, dann werde es vielleicht nicht so schlimm. An den fünfjährigen kleinen Iraker, der sagte: „Die Luft wird kalt und heiß sein, und wir werden ganz doll brennen.“

Ich denke daran, dass wir vielleicht in wenigen Tagen auf den Fernsehschirmen der „Achse des Friedens“ das faszinierende Feuerwerk westlicher High-Tech-Flugzeuge erleben werden, die Raketen und Cruise missiles wie Blitze in den hellgrün erleuchteten Himmel Bagdads schleudern werden, um das irakische Volk von seinem schrecklichen Diktator zu befreien. Wir werden die sonoren Stimmen der Experten und Kommentatoren hören, die die Bomben auf Bagdad wie eine große Show, wie ein großes Sportereignis schildern. Fieberhaft wird die Welt bei Bier, Coke und Chips dieses grandiose, Adrenalinschübe auslösende Multimediaspektakel genießen. Nur wenige wird es interessieren, dass jede vierte Bombe kein militärisches Ziel trifft, sondern ein Kind zerfetzt, ein Mutter verbrennt, einen Vater erschlägt.

Früher, ganz früher starben im Krieg zu 90 Prozent „nur“ Soldaten, heute sind 80 Prozent der Kriegsopfer Frauen und Kinder. Luftkrieg ist seit langem eine vornehme Umschreibung für Massenmord an Zivilpersonen. Aber keine Sorge, es sind keine Deutschen, Engländer oder Amerikaner, die da sterben werden. Wenn jene 48 Stunden kommen, in denen der Irak mit einem apokalyptischen Feuerwerk „blind, taub und stumm“ geschlagen werden soll, sterben nur Muslime. Wer weint schon um Abdul und Tanaya?

Neulich träumte ich von Bagdad. Ich träumte, George W. Bush und Donald Rumsfeld würden am Tag des geplanten Angriffs auf den Irak auf ihrem Frühstückstisch folgenden Brief ihrer Kinder, ihrer Enkel vorfinden: „Ihr wisst, dass einige unserer Freunde sich zur Zeit als lebende Schutzschilder in Bagdad aufhalten. Wir haben beschlossen, sie nicht allein zu lassen und sind gestern nach Bagdad geflogen. Ihr könnt uns dort morgens und abends telefonisch über das Al Rasheed Hotel erreichen. Tagsüber sind wir in Bagdad unterwegs.“ Würden George W. Bush und Donald Rumsfeld ihren Krieg gegen „das Reich des Bösen“ trotzdem führen? Würden sie auch dann noch von „unvermeidbaren Kollateralschäden“ sprechen, wenn sie befürchten müssten, dass nicht muslimische, sondern ihre eigenen Kinder von amerikanischen „Präzisionsbomben“ verbrannt, zerfetzt, pulverisiert würden?

Denk ich an Bagdad...

Ich denke in diesen Tagen oft an Bagdad. Daran, dass wir in diesem völkerrechtswidrigen, kontraproduktiven, unmoralischen und überflüssigen Krieg nicht nur unschuldige Menschen töten werden, sondern auch das, was den Kern unserer eigenen Kultur ausmacht: Den Respekt vor der Würde anderer Menschen, anderer Völker, anderer Rassen. Den Wert einer Kultur erkennt man daran, wie sie die wehrlosen Menschen der Dritten Welt behandelt. Ich denke in diesen Tagen oft an Bagdad.

Der Verfasser ist Medienmanager, war 18 Jahre lang für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages und ist Autor des Bestsellers „Wer weint schon um Abdul und Tanaya?“
Quelle: Süddeutsche Zeitung

  • Corradomichi
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  • | 18.03.2003 19:32

Dein Beitrag finde ich sehr sehr gut!!!!


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  • | 18.03.2003 22:55

das ist mal wirklich gut geschrieben ! ! !


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  • | 18.03.2003 23:51

Ich glaube, sowas sollte jeden zum Nachdenken bringen....

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