50 Jahre Renault 16: Als Frankreich noch den Ton angab

| 29.05.2015


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Vor 50 Jahren war der Renault 16 eine Sensation. Als erste Limousine der oberen Mittelklasse mit Schrägheck, großer Kofferraumklappe und variablem Innenraumkonzept ließ er 1965 die konventionelle Stufenheck-Konkurrenz mit einem Schlag alt aussehen. Die Sitzlandschaft des Renault 16 ließ sich in sieben Positionen variieren. Damit erwies er sich als Vorläufer als würdiger Verwandter des R 4, der 1961 die Formel „maximaler Innenraum bei minimalem Verkehrsflächenbedarf“ erstmals perfekt umgesetzt hatte.

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Rennsportlegende Stirling Moss nannte den Renault 16 „das am intelligentesten konstruierte Automobil“, das er je gesehen habe. Die Zeitschrift „mot Auto-Kritik“ verspürte gar „eine Ohrfeige für die deutsche Automobiltechnik“ und erhob ihn euphorisch zum „neuen Maßstab“ für die Branche. Er trat in einer Zeit an, in das Stufenheck als Maß der Dinge galt, wahlweise in den Varianten Ponton- oder Trapezformkarosserie, auf jeden Fall aber kreuz­konservativ.

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Was die Automobilindustrie nahezu geschlossen übersah: Die Gesellschaft erlebt in den 1960er-Jahren einen tief greifenden Wandel. Vorbei die kargen Nachkriegsjahre, mit steigenden Löhnen und Vollbeschäftigung rücken zusehends Freizeit, Reisen und Konsum in den Blickpunkt. Zur selben Zeit siedeln sich an den Stadträndern die ersten Supermärkte an, und auch der Zweitwohnsitz auf dem Lande ist in der umworbenen Zielgruppe der gut verdienenden Angestellten und Selbstständigen nichts Ungewöhnliches mehr. Vor allem aber: In den 60er-Jahren überrollt die Geburtenwelle die westliche Welt. Später wird man von der Generation der „Babyboomer“ sprechen. Was fehlt, ist ein Auto, das die vielfältigen Ansprüche der jungen Familien unter einen Hut bringt.

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Der Renault-Präsident Pierre Dreyfus, der bereits den R 4 initiiert hat, bittet deshalb im Sommer 1961 die Leiter der Entwicklungsabteilung zu sich ins Büro. Sein Auftrag: der Bau eines Familienautos komplett neuer Art. Es soll elegant wie eine Limousine sein, dabei geräumig und wandlungsfähig wie ein Kombi, denn große Familien, so seine Rechnung, brauchen viel Platz. Um den Fond uneingeschränkt zu nutzen, setzt Dreyfus voll und ganz auf Frontantrieb. Ansonsten haben die Entwickler freie Hand.

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Zu den kreativsten Köpfen des neu gegründeten „Bureau de Style“ zählt der 31-jährige Gaston Juchet. Er zeichnet im Spätsommer 1961 den wegweisenden Entwurf für einen Viertürer mit Schrägheck und je drei Seitenscheiben. Die Entwicklung erfolgt in der Rekordzeit von nicht einmal vier Jahren. Parallel dazu errichtet Renault für den Renault 16 in nur 18 Monaten in Sandouville bei Le Havre ein komplett neues Werk. Die Serienfertigung des Newcomers startet im Januar 1965, seine Messepremiere hat der Renault 16 zwei Monate später auf dem Genfer Automobil-Salon.

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Die Maße des Neulings: 4,32 Meter Länge, 1,65 Meter Breite und 1,36 Meter Höhe, dazu serienmäßig vier Türen, wenn die große Kofferraumklappe hinzugezählt wird, sogar fünf. Das Presseecho: überwältigend. Tatsächlich fällt der Renault 16 nicht nur mit seiner Heckklappe aus dem Rahmen. Auch der lange Radstand und das „Pagodendach“ tragen zum unverwechselbaren Erscheinungsbild bei. Die hochgezogenen Karosseriekanten sind mehr als nur ein Design-Gag. Sie verleihen dem Fahrzeug eine ausgezeichnete Verwindungssteifigkeit,und dies trotz fehlender Querwand zwischen Passagier­abteil und Kofferraum.

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Vor allem aber überzeugt der Renault 16 durch eine bis dahin nicht gekannte Innenraumvariabilität. Die Sitzlandschaft lässt sich in insgesamt sieben Positionen an die unterschiedlichsten Situationen anpassen. Wer viel zu transportieren hat, kann das Fondgestühl umklappen, um bis zu 15 Zentimeter nach vorne schieben oder ganz ausbauen. Hierdurch wächst das Ladevolumen von 346 auf 1200 Liter. Eine weitere – heute aus der Mode gekommene – Konfiguration erlaubt es, die Rückenlehne der Fondbank unter den Dachhimmel zu hängen, während das Sitzkissen nach vorne gekippt und von hinten an die Vordersitze gelehnt wird.

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Der Beifahrer kann zwischen zwei Liegekombinationen für seinen Sitz wählen, eine für unterwegs, die andere für das Nickerchen auf dem Rastplatz. Und in der „Mama“-Position rückt Mutti – so wollen es die Namensgeber – den Beifahrersitz auf Tuchfühlung an die Fondbank, so dass der schlafende Sprössling bei einer Vollbremsung nicht in den Fußraum purzelt.

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Ein Detail wissen vor allem Männer, die Hut tragen, zu schätzen: Dank der hohen Türausschnitte und der stattlichen Innenraumhöhe können sie im Wagen Platz nehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihnen der Dachholm die Kopfbedeckung vom Haupt rasiert. Auch an solche Details wie die solide Kofferraumabdeckung hat Renault gedacht. Sie beugt dem Eindruck vor, in einem schnöden Kombi zu sitzen, der damals noch ein reines Nutztier ist, und hält das Odeur geruchsintensiver Einkäufe von den Insassen fern.

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Weiteres durchdachtes und komfortables Detail: Die in Deutschland nahezu ausschließlich nachgefragte Ausstattung „Grand Luxe“ verfügt über eine Mittelarmlehne mit praktischem Ablagefach. Sie erlaubt jene unverwechselbar lässige Renault 16 Fahrer-Haltung, die auch zum Gangwechsel nicht aufgegeben werden muss. Denn geschaltet wird grundsätzlich am Lenkrad. Dazu kann der Ellbogen weiter auf der Armstütze ruhen. Die Fachzeitschrift „Auto Motor und Sport“ erklärt den Franzosen im Rahmen eines 50 000-Kilometer-Dauertests zum „rollenden Wohnzimmer“.

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Antriebstechnisch hat der Renault 16 ebenfalls Wegweisendes zu bieten: Unter der Haube beherbergt er den ersten komplett aus Aluminium gefertigten Motor von Renault. Anfangs mobilisiert der Leichtmetall-Vierzylinder 40 kW / 55 PS aus 1470 Kubikzentimeter Hubraum. Im Lauf der Zeit steigt die Leistung auf 68 kW / 93 PS in der 1973 vorgestellten Spitzenversion TX. Damit verbunden ist ein stetiges Hubraumwachstum auf bis zu 1647 Kubikzentimeter. „In Bezug auf Laufruhe, Elastizität und Leistungsverhalten gehört der Motor zum Besten, was heute in der Vierzylinder-Mittelklasse existiert“, lobt „Auto Motor und Sport“ das Aggregat, das später in leistungsgesteigerter Form auch in den Sportwagen Renault Alpine A110 und A310 Motorsportgeschichte schreiben wird.

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Der Vierzylinder ist wie beim R 4 weit in Richtung Wagenmitte nach hinten verschoben eingebaut. Davor haben die Entwickler das Getriebe montiert. Es handelt sich um ein Front-Mittelmotor-Prinzip, nur 55 Prozent des Gesamtgewichts lasten auf der Vorderachse. Die Vorteile lassen sich im Wortsinn „erfahren“: Der günstige Schwerpunkt und die neutrale Gewichtsverteilung ermöglichen ein sicheres und gleichzeitig sehr sportliches Fahrverhalten.

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Vom R 4 erbt der große Bruder auch die Drehstabfederung. Diese trägt auch zum Ladevolumen des Renault 16 bei, weil keine störenden Federdome in den Kofferraum ragen. Kurioser Nebeneffekt dieser Lösung: Der avantgardistische Gallier hat links einen um 67 Millimeter längeren Radstand als rechts. Bei eindrucksvollen 2717 bzw. 2650 Millimetern fällt dies indes nur dem äußerst geübten Auge auf.

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1966, im ersten vollen Verkaufsjahr, setzt Renault allein in Frankreich von seinem neuen Topmodell 68 916 Fahrzeuge ab. Bis 1969 steigt die Zahl auf 92 488 Autos. Weltweit verkauft Renault in jenem Jahr 179 991 Renault 16, eine Zahl, die 1970 sogar noch überboten wird, als 193 698 Fahrzeuge das Werk Sandouville verlassen. Zu diesem Boom trägt auch die Einführung des stärkeren TS-Modells 1968 mit 61 kW / 83 PS und der Automatikversion 1969 mit 49 kW / 67 PS kurbelt den Absatz an.

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Ein Jahr zuvor hat Renault den Export des Renault 16 nach Kanada und in die USA gestartet, wo der französische Exot die Herzen der Motorpresse erobert. Das US-Magazin „Road Test“ schlägt vor, „alle in Detroit arbeitenden Designer zwei Wochen ans Lenkrad dieses Autos zu setzen, in der Hoffnung, dass ihre eingeschläferte Fantasie wieder aufgeweckt wird“.

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Zum Modelljahr ’71 erlebt der R 16 sein erstes Facelift. Er erhält unter anderem größere und rechteckige Heckleuchten, die außerdem etwas tiefer platziert sind. Die Basisversion leistet jetzt 49 kW / 67 PS wie zuvor beim Automatikmodell. Die Modellpflegemaßnahmen halten die Karriere im Schwung: Anfang 1972 rollt in Sandouville der einmillionste Renault 16 vom Band. Längst wird das Modell zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur in Frankreich gebaut. Montagewerke finden sich in 14 weiteren Ländern der Erde, darunter so entfernten Welt­gegenden wie Trinidad, Venezuela, Madagaskar und Australien.

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Nur ein Jahr später legt Renault nach: Auf dem Pariser Salon im Oktober 1973 debütiert das neue Topmodell der Reihe, der Renault 16 TX mit 1647 Kubikzentimetern und 68 kW / 93 PS.

1975 präsentiert Renault auf dem Genfer Automobilsalon den designierten Nachfolger Renault 20, auch er mit Schrägheck. Für den Renault 16 bedeutet dies jedoch noch nicht das Aus. 1976 werden weltweit 103 179 Renault 16 verkauft. Renault produziert deshalb beide Modelle vier Jahre lang nebeneinander. Im Januar 1980 macht der Urahn der Schrägheck­Limousinen nach 1 845 959 produzierten Exemplaren dann endgültig der jüngeren Generation Platz. (ampnet/Sm)






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Autor: Yannik Maier