Reifen für autonome und E-Fahrzeuge: In Zukunft bunt und intelligent

| 30.11.2017


Kein Wunder, denn Zielkonflikte prägen die Entwicklungsarbeit der Pneu-Ingenieure: Mehr Laufleistung bringt weniger Grip, bessere Eigenschaften bei Nässe erhöhen das Laufgeräusch, eine längere Lebensdauer steht optimaler Haftung auf Eis und Schnee im Wege. Man könnte endlos viele entgegengesetzte Entwicklungsziele aufzählen. Zuletzt hat die Reifenbranche dieses Dilemma zwar immer besser bewältigt. Aber derzeit stellen autonomes Fahren und Elektromobilität verschärfte oder völlig neuartige Anforderungen an die runde, schwarze Komponente.

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Mit der Einführung elektrisch angetriebener und autonom fahrender Autos ändern sich auch die Anforderungen an die Reifen.

Hankook als einer der fünf volumenstärksten Reifenhersteller weltweit ist längst mit der Entwicklungsarbeit rund um autonome oder Elektro-Fahrzeuge beschäftigt. Aktuelles Indiz: VWs Null-Emissionsfahrzeuge I.D., I.D. Buzz und I.D. Crozz II standen auf der IAA in Frankfurt alle auf Konzeptreifen der Koreaner mit deutschem Sitz in Neu-Isenburg. Dabei fiel unter anderem die ungewöhnliche Farbe der Pneus auf, etwa in Anthrazit. Möglich machen dies spezielle Farbpartikel anstelle von Ruß. Farbige Reifen seien zwar vor allem aus Kostengründen derzeit nicht marktfähig, müssten aber auf Dauer nicht Studien vorbehalten bleiben. Klaus Krause, Chef des Hankook Europe Technical Center in Hannover, kündigt an: "Optische Gesichtspunkte sprechen durchaus für farbige Reifen. Sie können den Charakter eines Fahrzeuges unterstreichen. Elektrofahrzeug-Studien von heute zeigen, was in Zukunft möglich sein kann."

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Maßgeschneidert: Die Konzeptfahrzeuge der I.D.-Familie von Volkswagen rollen auf speziellen Pneus von Hankook.

Bei Elektroautos nennt Martin Winkler, leitender Entwicklungs-Ingenieur bei Hankook, folgende neue Kern-Herausforderungen an die künftigen Reifen: Rollwiderstand, Gewicht, Laufgeräusch, Robustheit (besonders bei hoher Zuladung) und Verschleiß. All dies gelte gleichfalls für einen Kleinst-Stromer (z.B. VW E-Up) wie auch für Oberklasse-Elektroautos (z.B. Tesla Model X). Wegen der charakteristischen Nutzung von E-Mobilen rücke laut Winkler auch immer mehr in den Vordergrund, wie sich Reifen auf Kurzstrecken und unterhalb ihrer optimalen Betriebstemperatur verhalten.

Der verschärfte Zielkonflikt beim Rollwiderstand habe einen direkten Einfluss auf die Reichweite der Batterie: "Je niedriger er ist, desto weniger Energieverlust ist vorhanden", so Winkler. Stärker als bisher müssten die Reifenhersteller auch auf das Laufgeräusch achten, denn die leisen oder nahezu lautlosen Elektroantriebe lassen jegliche Laufgeräusche des Reifens auffälliger als bisher erscheinen. Ein weiterer Zeilkonflikt: Laut Martin Winkler soll der Reifen einerseits besonders leicht sein. Aber: Das verstärkt wesentlich jenes im Reifeninneren erzeugte Geräusch, das durch sogenannte "Kavitätsschwingungen" - also Schwingungen der Luftsäule im Reifen - entstehe.

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Die ungewöhnliche Farbe der Pneus erreicht der Hersteller durch spezielle Farbpartikel anstelle von Ruß.

Auch bei der Profilgestaltung ergeben sich neue Herausforderungen. Elektroautos sind wegen des Akkugewichts in der Regel schwerer und entwickeln ihr hohes Drehmoment impulsiver als ein Verbrennungsmotor. Martin Winkler: "Eine reduzierte Profiltiefe ist hier ein Lösungsansatz, mindert aber die Abrieb- und die Laufleistungseigenschaften. Die Herausforderung besteht darin, gute Verschleißeigenschaften, Laufleistung und Profilstabilität zu gewährleisten, trotz der Belastung durch die stärkeren Brems- und Beschleunigungskräfte eines Elektrofahrzeugs." Mögliche Gegenmaßnahme: Höherer Reifenluftdruck. Allerdings müssten zu diesem Zweck erst gesetzliche Vorschriften angepasst werden. Außerdem folgt laut Winkler der nächste Zielkonflikt auf dem Fuße: "Ein höherer Reifendruck wirkt sich negativ auf Komfort-Eigenschaften und Aufstandsfläche des Reifens aus."

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Der Rollwiderstand der Reifen spielt bei E-Autos eine besonders wichtige Rolle. Je niedriger er ist, desto weniger Energieverlust ist vorhanden und desto höher ist die Reichweite.

Zur Erhaltung guter Fahreigenschaften auch beim E-Fahrzeug könnte laut Winkler eine Änderung der Reifenabmessungen die Lösung sein. Beispiel VW I.D. Crozz II, dessen Serienversion ab 2020 auf den Markt kommen dürfte. Die Studie wurde gezielt auf reinen Elektroantrieb hin entworfen. Das machte Konzeptreifen in der ungewöhnlichen Dimension 245/45R21 möglich. Der im Vergleich zur Reifenbreite relativ große Durchmesser sorgt laut Hankook für eine schmale, hohe Silhouette und bringt einen niedrigen cW-Wert, was zusammen mit einem niedrigeren Rollwiderstand zur optimalen Energieeffizienz des künftigen Elektro-SUV-Coupés beitrage. Und: Der große Durchmesser senke außerdem die Verformung des Reifens und somit den Rollwiderstand. Auch sei die für Bremsleistung, Traktion und Seitenführung wichtige Größe der Aufstandsfläche wegen des stolzen Durchmessers relativ groß. Folge: "In Verbindung mit einer griffigen Laufflächenmischung müssen beim Konzeptreifen für den VW I.D. Crozz II keine Abstriche bei der Reifen-Performance gemacht werden."


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- In Zusammenarbeit mit der Universität von Cincinnati entwickelt Hankook den futuristischen Reifen Shiftrac mit besonders guten Kurveneigenschaften.

Aktuelle Studien mit Elektroantrieb verfügen meist über teil- bis vollautonome Systeme, die in naher Zukunft in Serie gehen werden. Auch sie beeinflussen die Entwicklung künftiger Autoreifen, verrät Andreas Pürschel, ebenfalls leitender Entwicklungs-Ingenieur von Hankook: "Insbesondere der 'Intelligente Reifen' mit Sensor wird erforderlich sein, um in Zukunft die sichere Nutzung von autonomen Fahrzeugen zu gewährleisten." Darunter verstehe man einen mit Sensoren ausgerüsteten Reifen, der weit mehr als bisher mit dem Fahrzeug und der weiteren Außenwelt kommuniziere. Neben Reifendruck müssten die Pneus autonomer Fahrzeuge viele weitere Daten erfassen und weiterleiten. Darunter: Eigenfrequenz und somit Verschleißzustand des Reifens, Grip-Level und Abriebbild sowie die momentane Größe der Aufstellfläche (die sich in kritischen Fahrzuständen deutlich ändert).

Das autonome Fahren erhöht unter anderem die Zahl der Passagiere, mit denen man im Schnitt rechnen muss. Und Runflat-Systeme müssen sicherstellen, dass sich ein momentan fahrerloses Auto trotz Reifenpanne weiterbewegen kann. Vor allem im Hinblick auf die extrem wichtige Konnektivität künfiger Reifen verspricht Andreas Pürschel: "Wir haben in puncto autonomes Fahren die richtigen Weichen für unsere Reifen durch Kooperationen mit internationalen Chip-Herstellern bereits gestellt." Der Weg zum intelligenten Reifen ist offenbar frei. In Abstimmung mit den Autoherstellern hat sich die Reifenbranche einen Zeitplan gesetzt, wann der intelligente Reifen auf den Markt kommen wird. Der genaue Zeitpunkt ist allerdings noch geheim.mid/rs Bildquelle: Hankook, Bildquelle: VW






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