Ford Fiesta: Ein Duell mit ungleichen Waffen

| 15.11.2016


Und schon können wir einen Vergleich anstellen, der zwar nicht ganz fair ist, aber ans Herz greift. Vor uns stehen zwei Ford Fiesta: Das Urmodell von 1976 mit 40 PS und die Jubiläumsausgabe von heute als ST200 mit 200 PS. Ein Unterschied, der größer kaum sein könnte: Hier ein kleines Wägelchen, das sich in die Ecke duckt und hofft, dass niemand unabsichtlich drauftritt, und dort ein selbstbewusster Kraftbolzen. Beide stehen bei der Ford Road Show für Testfahrten bereit.

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Nach dem vorsichtigen Öffnen der Tür, die fast den Eindruck vermittelt, dass sie aus Papier gefertigt ist, wird im 76er der Blick auf ein überschaubares Armaturenbrett - ja dieser altmodische Begriff passt prima zum Instrumententräger von damals - frei. Zwei relativ kleine Rundinstrumente mit blass werdenden orangenen Zeigern geben Auskunft über Geschwindigkeit und Drehzahl. Der Drehzahlmesser war damals sicher aufpreispflichtig. Es gibt noch eine Tankuhr und ein paar Kontrollleuchten. Das ist es aber auch. Die Sitze haben ein hinreißend popeliges Farb-Design, das dem Fiesta-Gestühl von damals zwar keinen Seitenhalt bietet, aber perfekt zu den Tapeten seiner Zeit passt.

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Ganz anders der Fiesta ST200, von dem es in Deutschland nur eine auf 1.000 Exemplare limitierte Serie geben wird. Seine Sitze schmiegen sich formschlüssig an den Körper und lassen den Wunsch wach werden, die erste Kurve noch im Stand zu nehmen. Das wulstige Lederlenkrad lädt zum Anfassen ein, während man im alten Modell fast ein bisschen Angst hat, das dünne glänzende Hartplastik-Lenkrad, das wie ein Lakritz-Kringel anmutet, zu zerbrechen.

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Auch eine andere Besonderheit leistet sich der 2016er-Fiesta nicht mehr: Damals wollte man sich unbedingt zwei Gelenke an der Lenksäule sparen, die vom Fahrerplatz aus Richtung Mitte in den Motorraum stocherte. Aus diesem Grund wurde das Lenkrad auf der Säule etwas verkantet angebracht, was beim Geradeausfahren nicht störte. Erst, wenn man den Teller um ein halbe Umdrehung bewegte, stand Lenkradkranz an der rechten und linken Außenseite in unterschiedlichem Abstand zum Fahrer. Der hätte dann am besten zwei unterschiedlich lange Unterarme brauchen können, um diese Asymmetrie wieder auszugleichen. Der ST200 lockt darüber hinaus mit einem knackig kurzen Schalthebel, der sich frech aus dem Ledersack reckt. Da wirkt das lange Gestänge des alten Fiesta längst nicht so dynamisch.

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Auch beim Fahren lassen sich die 40 Jahre Weiterentwicklung des erfolgreichen Kleinwagens nicht leugnen. Schon das Anlassen im Oldtimer verlangt eine kundige Hand. Beim Kaltstart will erst der Choke gezogen werden, der dafür sorgt, dass ein fetteres Benzin-/Luftgemisch williges Anspringen fördert. Und wenn der Motor erst einmal läuft, muss der Choke-Hebel bei zunehmender Motor-Temperatur wohldosiert in die Ausgangslage zurückgeschoben werden, damit die Zündkerzen nicht verrußen und der Motor daraufhin absäuft und seinen Dienst einstellt.

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ABS, ESP und andere elektronische Assistenten sind für den archaischen Fiesta selbstredend völlig unbekannte Begriffe. Damals vor vier Jahrzehnten hatte das Geschick des Chauffeurs beim Fahren und Bremsen auf rutschiger Fahrbahn noch einen viel höheren Stellenwert als heute. Aber ein Ritt im Grenzbereich ist im putzigen Urmodell ohnehin nicht vorgesehen. Das ist mehr etwas für den jungen Sportler aus dem aktuellen Modellprogramm. Was soll man von einem 40-PS-Motörchen auch erwarten? Beim Fiesta Nummer 1 ging es darum, auf die hohe Nachfrage nach stadttauglichen Kleinwagen eine Antwort zu geben. Damals waren die Spritpreise rasant noch oben geschnellt und viele Käufer sehnten sich nach einem wirtschaftlichen Kleinwagen.

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Klar, bei unserem Vergleich hätte ja auch nicht unbedingt der 200-PS-Hammer mit dem Fiesta-Schriftzug auf dem Heckdeckel antreten müssen. Auch das aktuellen Modell gibt es schließlich bereits ab 60 PS. Aber es ist schon faszinierend, zu erleben, was die technische Weiterentwicklung selbst aus Kleinwagen machen kann. Das Klassendenken der 80er-Jahre ist einem Zeitgeist gewichen, der unten wie oben im Modellprogramm entweder nach nüchternen Fakten oder nach emotionalem Lifestyle fragt. So findet jeder Topf seinen Deckel.

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Aber der Vergleich ist ja ohnehin nicht fair. Dennoch gewinnt je nach Betrachtungsweise mal der eine und mal der andere Wagen. Denn so sehr der ST-Sonderling mit seiner Performance den Technik-Fan begeistert, so rasch erobert der Alte die Herzen der Betrachter. Da werden schlagartig Erinnerungen wach, die mit der persönlichen Vergangenheit zu tun haben - ob es Tante Elamira ist, die uns mit ihrem stets blitzenden Fiesta in den Schrebergarten mitgenommen hat, oder der leicht angerostete Gebraucht-Fiesta, der den schmalen Geldbeutel eines Studenten endlich auf vier Räder brachte. Da verklärt sich der Blick auf den bejahrten Fiesta schnell zu seinen Gunsten. Aber das macht dem modernen Düsentriebler nichts aus: Denn der ist schon längst um die nächste Ecke geflitzt.

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Bildquelle: Ford






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