Heiße Kisten mit schlechten Bremsen


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  • | 11.01.2004 15:53

Beim TÜV und bei der DEKRA herrscht in diesen Tagen reges Treiben: Der Abschleppunternehmer bringt einen fahrbaren Untersatz nach dem anderen zur Begutachtung.
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Und während die Sachverständigen das motorisierte Corpus delicti in Augenschein nehmen, taucht ein nervöser junger Mann auf, der das gute Stück vermisst, nicht selten in Begleitung seines Papas. Dann wird beteuert und verhandelt, aber was nützen die guten Worte, wenn ein vierrädriges Himmelfahrtskommando auf der Bühne steht. Dann gibt es für die Gutachter nur eins: Die Karre wird stillgelegt.
16 der 24 konfiszierten Autos haben sich die Sachverständigen bis gestern vorgenommen – und allen 16 die Betriebserlaubnis entzogen, wie Erhardt Hase, der zuständige Verkehrssachbearbeiter der Polizei, am Nachmittag mitteilte. Von erschreckenden Sicherheitsmängeln spricht der Gerichtssachverständige Uwe Töns-Rocklage: „Die können froh sein, dass sie angehalten wurden!“
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Mit sicherem Instinkt richtet der DEKRA-Spezialist seinen Blick in die vorderen Radkästen eines schwarzen Golf TDI. Die Breitreifen haben schon ein Loch in das vordere Blech geschliffen, weil sie dort bei Kurvenfahrt anschlagen. Wie lange halten die Pneus das wohl durch? Und hoffentlich hat der Fahrer mehr Profil als seine Reifen.
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Offensichtlich war es ihm wichtiger, in das prestigeträchtige Innenleben zu investieren. Uwe Töns-Rocklage verweist auf zwei dicke Schläuche unter der Motorhaube. Die führen zu einem selbst gebastelten Ladeluftkühler. Könnte ein paar PS bringen, vielleicht aber auch nicht. Ein silbergrauer Audi 80 trumpft ebenfalls mit seinen Breitreifen auf. Doch die haben schon den Kotflügel angeschliffen. Durch das Tuning wurden allerdings die Bremsschläuche in Mitleidenschaft gezogen, und nun wölbt sich an einer Stelle bereits eine hässliche Blase. Bei einer Vollbremsung kann der Schlauch platzen. „Dieses Auto ist lebensgefährlich!“ vermerkt der DEKRA-Prüfer. Da erscheint der ungedämpfte Auspuff beinahe wie eine Bagatelle. Doch der markante Sound, mit dem sich der Fahrer von anderen abheben will, kann ein ganzes Wohngebiet in eine schlaffreie Zone verwandeln. Um ihr Ego aufzupolieren, haben die verhinderten Formel1-Piloten viel Geld in ihre Umbauten gesteckt - und damit die körperliche Unversehrtheit von sich und anderen aufs Spiel gesetzt. „Detailverliebt, aufwändig und teuer“ nennt Ralf Hockemeyer, der Regionalleiter des TÜV-Nord, die inspizierten Umbauten: „Es geht sehr um die Optik und nicht um die Sicherheit.“
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Das sind die häufigsten Mängel, die bei TÜV und DEKRA attestiert wurden: Tieferlegen: Verstellbare Stoßdämpfer, die im Zubehörhandel erhältlich sind, machen‘s möglich. Dazu kommen flache Reifen. Einige der untersuchten Autos hatten weniger als 2 cm Bodenfreiheit unter dem Spoiler (harmlos), bei einigen war bereits die Ölwanne angeschliffen (sehr kritisch) und der Auspuff sprühte Funken. In etlichen Fällen schliffen die Reifen die Karosserie auf (und umgekehrt).
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Mängel an der Lenkung: Bedingt durch die Umbauten am Fahrwerk treten größere Kräfte an der Lenkung auf, die Trag- und Führungsgelenke schlagen leicht aus (lebensgefährlich). Bei einigen der untersuchten Fahrzeuge waren sogar die Aufhängungen und Achsteile angeschliffen.
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Schalldämpfer: Einige der Bastler hatten nicht nur die Prallbleche, sondern auch gleich den Kat entfernt. Für die Behörden ein klarer Fall von Steuerhinterziehung. Vater Staat lässt nicht mit sich spaßen und entzieht den Pseudo-Rennwagen die Betriebserlaubnis. Wer seinen fahrbaren Untersatz wieder auf öffentlichen Straßen bewegen will, muss ihn „zurückbauen“, wie es im Amtsdeutsch heißt.
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Sind die stillgelegten Autos nun typisch für die Szene an der Pagentecherstraße oder waren mit ihnen nur die „schwarzen Schafe“ unterwegs? Rein zahlenmäßig fallen sie zumindest nicht sonderlich ins Auge. Nach Auskunft der Polizei wurden am Freitag Abend 1225 Fahrzeuge kontrolliert und nur 24 vorläufig aus dem Verkehr gezogen.


Quelle:
Neue Osnabrücker Zeitung
Datum:
10.04.2002

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